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Welche Richterin, welchen Richter braucht die Gesellschaft?

Man würde meinen, Basis der richterlichen Entscheidungen bilden allein positivierte Rechtsgrundlagen, die die Organe der Gerichtsbarkeit gründlich beherrschen sollten. Ist ihnen diese Fähigkeit überdurchschnittlich gemein, können sie das Richteramt bekleiden. Doch ist fundiertes Fachwissen tatsächlich einziges Kriterium, um über hochsensible Lebensbereiche fremder Menschen – seien es Freiheitsentzug durch Gefängnisstrafe oder familiengerichtliche Belange – zu bestimmen?
Gedanken einer Rechtspraktikantin.

Als Richterin oder Richter greift man stark in die grundrechtlich geschützte Sphäre von Menschen ein. Jeder, der der Rechtsprechung ausgesetzt ist, wünscht sich daher an dieser Stelle eine vernünftig handelnde, ausgeglichene und reflektierte Persönlichkeit. Auch wenn fachliche Kenntnisse die Voraussetzung bilden, würde man eine Person bevorzugen, die sich ihrer folgenschweren Rolle bewusst ist und für die ein Fall nicht nur ein gut gefüllter Akten­um­schlag, sondern Teil der Lebensgeschichte eines gleichwertigen Menschen ist, dem man mit Respekt begegnen muss.

Jedes potentielle Mitglied der Richterschaft muss zu Beginn seiner Laufbahn das Studium der Rechts­wissen­schaften absolvieren. Das Studium habe ich persönlich als theoretische Ausbildung erlebt, die beinahe ausschließlich darauf fokussiert ist, Inhalte zu vermitteln. Es bleibt kaum Zeit (oder wird es als weniger relevant angesehen?) die Studierenden in ihrer Kritikfähigkeit zu erziehen, Diskussionen zu führen und zum selbst­ständigen Denken anzuregen. Das rechtswissen­schaftliche Studium allein ist tatsächlich reine Ausbildung, jedoch keine Bildung im Sinne einer Persönlichkeitsbildung, einer Reflexionsfähigkeitsvermittlung oder einer Anregung zum Darüberhinausdenken. Diese Art der rechtswissenschaftlichen Ausbildung birgt die Gefahr in sich, roboterartige, hörige Menschen zu produzieren, die zwar gelernt haben, Lehrbuchfälle korrekt zu lösen, aber weder kritisch hinterfragen noch kreative Ansätze bereitstellen können. Neben dem Appell, an dieser Fokuslegung der juristischen Grundausbildung etwas zu ändern, stellt sich die Frage, welche zusätzlichen Fähigkeiten nun ein Richter haben sollte, die ihm im Studium nicht mitgegeben werden?

Ein Merkmal der aktuellen, meiner, Jusstudierendengeneration ist, dass der Großteil aus einer gehobenen Mittelschicht stammt und kaum Berührungspunkte mit sozial weniger privilegierten Menschen hat. Dies ist bekannterweise kein neues Phänomen, aber dennoch ist die Tendenz spürbar, dass weniger Selbstständigkeit unter der jungen Generation vorhanden ist, sie behüteter und wirtschaftlich sorgenfreier aufwächst. Problematisch dabei ist, dass das Richteramt soziale Kompetenz und Selbstverantwortung abverlangt und entscheidungsfähige Persönlichkeiten braucht.

Richterinnen und Richter – so die Wunschvorstellung – nehmen ihre Unabhängigkeit ernst, sie lösen sich von Vorurteilen (die jedem Menschen von Natur aus innewohnen) und betrachten die Sache objektiv von außen. Dabei bedarf es jedes Mal von Neuem Mühe und Geduld, Für und Wider sorgfältig abzuwiegen und ruhig und bestimmt an die Sache heranzugehen. Auch darf man sich nicht in die Verlegenheit bringen, etwaige Abhängigkeitsverhältnisse zu kreieren; denn allein der Anschein, man bevorzuge gewisse Kreise oder Meinungen ist mit dem Richterberuf unvereinbar.

Damit man diesen vielseitigen Anforderungen gerecht werden kann, ist neben der sozialen Kompetenz die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung ein essentielles Charakteristikum eines Richters. Er muss der standesrechtlichen Pflicht nachkommen, sich selbst stets kritisch zu beleuchten, Entscheidungen und eingesessene Gewohnheiten zu reflektieren, gegebenenfalls zu ändern oder einen Perspektivenwechsel vorzunehmen. Die Fortbildungsmöglichkeiten, die den österreichischen Richterinnen und Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten angeboten werden, sind glücklicherweise vorhanden und facettenreich. Aus Eigenantrieb sollten diese genutzt werden; Selbstschutz-, Deeskalations- oder Rhetorikseminare sind ebenso aufzugreifen wie fachlich einschlägige Weiterbildung. Ebenso ist es wichtig, den Austausch mit dem Kollegium und zusammenarbeitenden Institutionen zu pflegen.

Dies alles sind Maßnahmen, die einer sogenannte Betriebsblindheit vorbeugen, welche insbesondere innerhalb der Richterschaft ein gefährlicher Zustand ist. Denn eine Richterin, ein Richter – sich ihrer tragenden Rolle bewusst – zeigt Engagement und Interesse an ihren Aufgaben. Damit ist stetes Persönlichkeits­training gefragt genauso wie die Aneignung aktuellen rechtlichen Wissens, Kenntnis über den Justizbetrieb, aber auch die Beobachtung der Gesellschaft und den darin zu erkennenden Umwälzungen.

Als Organ der Gerichtsbarkeit nimmt man an der Verwirklichung des rechtsstaatlichen Prinzips aktiv teil; dieser ehrenvollen und verantwortungsschweren Aufgabe muss sich jeder Richter und jede Richterin in jedem Augenblick bewusst sein. Entscheidungen, die getroffen werden, zeichnen als Gesamtheit die Qualität des österreichischen Rechtsstaats ab. Dass man diese Funktion und Verantwortung auf sich nehmen kann, will wohlüberlegt sein und sollte nicht leichtfertig angenommen werden. Falsch und der Gesellschaft gegenüber nachteilig ist es, wenn man das Amt als Accessoire betrachtet und der Prestigegedanke der einzige Antrieb ist.

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